Endlich Wochenende! Nadine gibt auf der A5 Gas, denn jetzt beginnt der schönste Teil ihrer Fernbeziehung zu Tom. Vorfreude pur. Ausschlafen, ausruhen und gemeinsam einen guten Rotwein trinken sind gesetzte Wochenendroutinen, genauso wie das Kochen für den Liebsten. Schließlich geht Liebe durch den Magen. In langjährigen Beziehungen ein wichtiger Punkt.
Der Blick aus dem Küchenfenster führt geradewegs in den Garten, falls die Augen die vollgestellte Fensterbank überwinden. Toms Küche ist eine typische Männerküche, funktional, klar und technisch. Manchmal zieren auch halbgeöffnete Amazon-Pakete die schmale Arbeitsfläche mit dem überdimensionierten Schneidebrett. Nadine ist das gewohnt und legt los. Natürlich gibt es Fleisch, am liebsten scharf angebraten. Tom kommt aus dem Ruhrgebiet. „Echte Männer mögen Kohle“, ist sein augenzwinkernder Spruch zu ihren Bratkompetenzen.
„Au scheiße“, stöhnt Nadine, als der Rauchmelder angeht. Ein ohrenbetäubender Lärm holt Tom aus seinem Arbeitszimmer. „Du musst die Fenster aufreißen, wenn du kochst“, schreit Tom genervt. „Ich koche nicht, ich brate“, verbessert ihn Nadine und fixiert das gekippte Fenster. Wieso reicht das nicht, denkt sie und ist froh, als Tom endlich den Ton abstellt.
Am nächsten Wochenende das gleiche Spiel. „Ich habe extra alle Fenster gekippt", verteidigt sich Nadine und schaut unschuldig in das wütende Gesicht von Tom. Dann gibt sie ihm schnell einen Kuss und verspricht, dass das Essen gleich fertig ist.
Vier Wochenenden später schrillt der Rauchmelder erneut. Tom kann sich kaum beruhigen. „Wieso lernst du eigentlich nicht?“, fährt er Nadine harsch, laut und mit funkelnden Augen an. „Fenster auf habe ich gesagt, nicht kippen!“ Obwohl ihr eine patzige Antwort auf der Zunge liegt, weiß sie, dass Rechtfertigungen in diesem Moment zwecklos sind.
Leise vor sich hinschimpfend schüttet sie etwas zu viel Essig in den Salat, wohlwissend, dass er saure Salate nicht mag. Warum fährt er auch so schnell aus der Haut? Ihre Wut richtet sich im ersten Moment gegen Tom, im zweiten auch ein bisschen gegen sich selber. „Was hindert mich eigentlich daran, die Fenster richtig aufzumachen?", fragt sie sich und überlegt kurz. Ist doch sonnenklar, die Antwort liegt auf der Hand, beziehungsweise auf der Fensterbank. Vollgestellt mit allerlei Kram müsste die erst mal abgeräumt werden, was zusätzliche Arbeit macht zum Aufwand des Kochens. Das ist wirklich zu viel des Guten. Und dann gibt es da noch den Rauchmelder. In einer Küche?! Wie blöd ist das denn? Ein Raum, in dem Rauchschwaden unumgänglich sind, außer Tom würde auf Rohkost umsteigen, was eher nicht zu vermuten ist. „Jetzt stell ich mich schon an den Herd und dann macht mir Tom auch noch das Leben schwer. Blödmann!
Stopp. Just in diesem Moment fällt Nadine das Deeskalationsseminar von letzter Woche ein. Was sagte die Trainerin da noch? Berufliche Deeskalationsstrategien können auch im Privatleben angewendet werden. Und Menschen wollen Recht haben. „Natürlich will Tom recht haben", schießt es ihr durch den Kopf, „aber ich, ich will auch recht haben und zwar unbedingt."
Essen machen ist total aufwändig und so ein dummer Rauchmelder in der Küche völlig überflüssig. Und warum muss Tom eigentlich dauernd so überreagieren und weshalb muss ich eigentlich immer alles tun …“, denkt Nadine genau eine Sekunde später schon wieder. „Mann, dieses Rechtfertigungskarussell ist wirklich hartnäckig", stellt sie überraschend fest.
Gibt es eine Lösung? Sie erinnert sich ans Seminar und den Satz, dass es immer mehrere Lösungsoptionen gibt. Wie war das noch gleich? Ach ja, es gibt drei Punkte:
1. Hinschauen ohne Wertung und akzeptieren was ist.
Was heißt das genau? Ganz realistisch betrachtet, dauert der Aufwand das Fenster zu öffnen maximal eine Minute und ist daher mit Abstand betrachtet durchaus zumutbar.
2. Die Perspektive wechseln durch Nachfragen statt zu unterstellen.
Aus welchem Grund Tom einen Rauchmelder in der Küche installiert hat, wird sie ihn beim nächsten Besuch fragen. Fragen aussprechen gibt Klarheit und vielleicht kann sie den Grund sogar nachvollziehen.
3. Alternativen finden.
Nadine bittet Tom das Fleisch draußen auf der Terrasse zu grillen oder sie lädt ihn zum Essen ein.
Das hat sie schon lange nicht mehr gemacht.
Neben all der Aufregung hätten sie doch beinahe ihr wichtigstes Wochenendziel vergessen: gemeinsam eine entspannte Zeit verbringen. In diesem Punkt sind sich Tom und Nadine einig und müssen nicht mehr recht haben.
Sich zurückbesinnen auf gemeinsame Ziele macht das Leben wieder einfacher.